Noch bis zum 30. Januar 2020 Holger Biermann
Holger Biermann ist ein freundlicher und umtriebiger Fotograf. Sein Sujet sind die Leute auf der Straße, und vielleicht erfordert das die eher unauffällige Arbeitsweise, den Menschen, der fast unsichtbar bleibt. Er hat sich über die Jahre ein eigenes Medium geschaffen: eine Reihe von kleinformatigen Heften, die individuelle Präsentationsform und Archiv in einem sind.
Biermann hat eine sichere Hand für Komposition, was seinen Bildern den Touch wohlkomponierter Arbeiten vermittelt, als gäbe es nichts Zufälliges bei dieser Art Fotografie. Die Fotografien kommen zuverlässig auf den Punkt.
Diese schlafwandlerische Dichte der Bilder, ist den inzwischen 18 erschienenen Heften nicht immer gegeben. Hier hätte vielleicht ab und zu eine strengere Auswahl gut getan, aber das schadet den Bildern selbst nicht wirklich. DIN A6 ist Biermanns Format – von Beginn an. Es ist – wenn man so will – seine besondere Postkartensammlung, die ihm ein erstes einfaches Produzieren und Vertreiben seiner Arbeiten ermöglicht. Dabei ist das gewählte Format für ihn Teil der Form, und diese Form baut auf die dicht aufeinander folgenden Bilder. Dennoch hätte ich mir ab und zu einen Bruch dieser Gleichförmigkeit, mehr Mut zu weißem Raum und Rhythmisierung gewünscht.
Die Hefte erscheinen wie kleine Eruptionen von Jahr zu Jahr, denn sie sind kein Tagebuch, auch nicht unbedingt ein „best of“, sondern vereinen Bilder, die oft über mehrere Jahre hinweg entstanden sind. Damit wird klar, dass sie im moment des Entstehens nicht immer einer vordefinierten Dramaturgie, einer Konzeption folgen, sonder eigentlich Ergebnis editorischer Prozesse des Autors oder der kooperierenden Grafiker sind. Wobei es dabei auch Ausnahmen gibt, etwa mit dem Heft „Roma Termini“ (2019) – das Resultat eines zweiwöchigen, doch recht zielgerichteten Herumstreunens in der Umgebung dieses Bahnhofes in Rom, für mich übrigens eines der stärksten Hefte.
Besonders interessant sind Fotografien, vor allem Porträts, bei denen die Abgebildeten authentisch und spontan wirkende Blickbeziehungen zueinander haben, als wäre der Fotograf zufällig Zeuge eines kurzen Disputs, einer Szene, geworden. Es sind genau diese Bilder, die wie Filmstills wirken und bei denen man dem Sog erliegt, mehr wissen zu wollen: was war da gerade passiert? Wie ging das weiter?
Die meisten Bilder haben etwas Beiläufiges, zuweilen sind sie dabei aber auch so intim, dass etwas paparazzihaftes aufblitzt. Dort wo der Fotograf aus einer Gruppe von Passanten heraus doch durch einen oder eine der Abgebildeten fixiert wird, also klar identifiziert ist, mit dem, was er tut, bleibt beim Betrachter eher selten die bange Frage, ob es irgendwelchen Ärger gegeben hat, ob der Fotograf schnell genug war im Gewühl und alles einfach weiterströmte. Dass Biermann keine Menschen einfach abschießt, wird an den Fotografien deutlich, auf denen er erkennbar Teil des Geschehens ist, weil er z.B. angesehen wird, die Fotografierten innehalten oder sogar ein wenig posieren.
Dieses Beiläufige wird auch aus der Kameraposition sichtbar, die fast immer Augenhöhe hat, stets kurze Brennweiten bevorzugt, was Nähe provoziert und durch die Einbeziehung eines weiten Bildraumes das Filmische des Erzählens steigert.
Gleichwohl ist auch Holger Biermann gefühlt immer auf der Suche nach „Typen“, nach skurrilen Situationen, dem Spektakulären, etwa diversen Polizeieinsätzen. Da sind Trinker, Kleinwüchsige, verdattert wirkende Menschen, die nicht merken, dass sie beobachtet werden, Menschen in komischen Posen, Anzugträger. Aber er führt dies Typen nicht vor, die entstehenden Porträts lassen den Abgebildeten die Würde, trotz aller situativer Komik. Zur Hochform läuft er regelmäßig auf, wenn er seine Heimatstadt Berlin verlässt und den Betrachter der Hefte auch mit der Neugier auf das exotische fasziniert.
Mit dem Heft „Haus + Hof“ (2017) – wie auch „Friede in Tux“ ganz in Farbe, was es von den übrigen bisher veröffentlichten schwarz-weiß dominierten Heften unterscheidet – beweist Holger Biermann, dass er auch ohne Menschen auskommen kann, denn er fasst dort ausschließlich sehr grafisch die typisch gestörten und im stetigen Umbruch befindlichen Stadtraumsituationen in Berlin zusammen. Verglichen mit dem Heft der Lichtenberg Studios aus dem Jahr 2011 wirken die Fotos hier sehr komprimiert. Noch stärker auf das rein Graphische konzentriert ist das Heft „Vorübergehend“ aus dem Jahr 2015, welches aber aus dem Werk Biermanns stilistisch ein wenig herausfällt. Gewiss ein legitimer Exkurs, der aber im Kontext der übrigen Hefte ein wenig fremd wirkt. „Friede in Tux“ (2019) wiederum folgt einer Chronologie, die auch durch eingefügte Aufnahmen der Zeitanzeige einer großen digitalen Uhr gegliedert wird. Beschriebenen wird ein realer oder fiktiver Tag in dem Tiroler Dörfchen. Mit der Wahl greller Farben, die auch Fehlfarben eines analogen Prozesses sein könnten und dem Ganzen etwas Unwirtliches vermitteln, einschließlich einer pompös zelebrierten Beerdigung, wird jedes Urlaubsambiente konterkariert..
Die Hefte verzichten komplett auf Bildunterschriften oder andere Legenden. Lediglich im Inneneinband sind Ort und Aufnahmezeitraum angegeben. Werbung, Reklametafeln oder Straßenschilder erzeugen zuweilen eine zweite Erzählebene. Das geschieht manchmal zufällig, manchmal ist es auch inszeniert, als hätte der Fotograf auf die passenden Komparsen für die jeweiligen Texte gewartet, aber es wird nicht literarisch.
Nicht immer habe ich verstanden, warum einzelne Farbfotografien in einem monochromen Heft auftauchen. Zuweilen, vor allem bei bei „Gold“, hätte ich mir einen strengeren Editor gewünscht. Ist man aber glücklicher Besitzer der vollständige Sammlung der bisher erschienenen Hefte, sind thematische Verdichtungen erfrischend, und eine solche wiederum ist „Gold“.
Eines der ganz frühen Hefte, „Leaving Today“ (2013), hat mich sehr berührt, weil dort acht Farbfotografien mit allen zufälligen analogen Verfremdungen, welche die Situation provoziert hat, das Ereignis des 11. September 2001 in klaustrophobischer Weise ungeheuer eindrücklich wiedergeben. Da ich diese Fotografien in unserer Galerie großformatig zeigen durfte, wurde mir aber auch klar, dass das Format der kleinen Hefte seine Grenzen hat. Ja, einigen der Fotografien täten größere Formate tatsächlich gut. Stoff für große Bildbände wäre auf jeden Fall da.
Noch bis zum 30. Januar 2020 kann man die Hefte in unserer Galerie erwerben, danach am besten direkt beim Künstler: https://www.holger-biermann.de/booklets/